E. Baltensperger: Der Schweizer Franken

Cover
Titel
Der Schweizer Franken – Eine Erfolgsgeschichte. Die Währung der Schweiz im 19. und 20. Jahrhundert


Autor(en)
Baltensperger, Ernst
Erschienen
Zürich 2012: Neue Zürcher Zeitung - Buchverlag
Anzahl Seiten
320 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Tobias Straumann

Es ist selten, dass sich Schweizer Ökonomieprofessoren an eine umfassende historische Darstellung wagen. Meist haben sie keine Zeit dafür oder sehen keinen Sinn darin, sich mit längst vergangenen Zeiten zu beschäftigen. Dieser Zustand ist äusserst bedauerlich. Denn die Wirtschaftsgeschichte ist zu wichtig, um sie den Historikerinnen und Historikern zu überlassen. Als Generalisten sind sie oft nicht in der Lage, wesentliche Fragestellungen zu beantworten oder überhaupt erst zu erkennen. Wirtschaftsgeschichte ohne die Beteiligung der Ökonomie ist wie eine Aufführung des Hamlet ohne den Prinzen von Dänemark.

Wie gewinnbringend es ist, wenn sich Ökonomen mit der Wirtschaftsgeschichte beschäftigen, zeigt das neue Buch zur Geschichte des Schweizer Frankens, das der emeritierte Berner Professor Ernst Baltensperger geschrieben hat. Gleich in dreierlei Hinsicht bringt es frischen Wind in die wirtschaftshistorische Forschung. Zunächst einmal ist es die erste Darstellung, welche die gesamte schweizerische Währungsgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts abdeckt. Dadurch wird nicht nur der weite Weg, den der Franken gegangen ist, gut sichtbar, sondern auch die ausserordentliche Vielfalt der geldtheoretischen Probleme, mit denen die Behörden umgehen mussten. Mit bewundernswerter Leichtfüssigkeit erörtert Baltensperger die Vorzüge und Probleme des Währungswettbewerbs und des Free Banking, die Funktionsweise des Bimetallismus und des Goldstandards sowie die wirtschaftspolitischen Gründe, welche die Schweizerische Nationalbank (SNB) 1973 veranlasst haben, den Franken frei flottieren zu lassen. Damit auch interessierte Laien den Argumenten folgen können, enthält der Anhang eine nützliche und gutlesbare Einführung in die Währungstheorie und ein ausführliches Glossar.

Zweitens zeichnet sich die Darstellung durch eine wohltuende Ausgewogenheit im Urteil aus, die vielen Studien zur Währungsgeschichte abgeht. Immer ist spürbar, dass die Behörden ihre Entscheidungen unter den Bedingungen von grosser Unsicherheit treffen müssen und der systematische Irrtum sozusagen Teil des Geschäfts ist. Manche mögen vielleicht vermuten, der Autor schone die Schweizerische Nationalbank (SNB) zu sehr, weil er sie jahrelang beraten und das Buch mit ihrer Unterstützung publiziert hat. Ich hatte hingegen nie den Eindruck, es würden nachträglich andere Massstäbe angewandt, um Fehlentscheidungen schönzureden. Im Gegenteil: Die Tiefpunkte der Geschichte wie die Inflation während des Ersten Weltkriegs, die Deflationspolitik der 1930er Jahre, die Goldkäufe der SNB während des Zweiten Weltkriegs oder der Beitrag der SNB zur Wachstumsschwäche der 1990er Jahre werden klar benannt und offen diskutiert. Und dass die Währungsgeschichte der Schweiz insgesamt als Erfolgsgeschichte bezeichnet wird, lässt sich kaum bestreiten. Nur wenige Länder haben in den letzten zweihundert Jahren so selten monetäre Turbulenzen erleben müssen wie die Schweiz, und wenn sie eintraten, konnten sie von den Behörden immer rechtzeitig unter Kontrolle gebracht werden.

Schliesslich ragt die Darstellung durch die kompromisslose Fokussierung auf die grossen Fragen der Währungspolitik heraus. Die Geschichte wird nicht um ihretwillen erzählt, sondern auf die aktuellen Probleme bezogen. Wie er im einleitenden ersten Kapitel ausführt, sieht Baltensperger sieben Themen als besonders wichtig an: die Rolle politischer, fiskalischer und gesellschaftlicher Stabilität für den Erfolg einer Währung; die gegenseitige Abhängigkeit monetärer, finanzieller und realwirtschaftlicher Stabilität; die Vor- und Nachteile von Metall- und Papierwährungssystemen; die Vor- und Nachteile von Wettbewerb und Monopol in der Bereitstellung von Geld und Finanzdienstleistungen; die Rolle einer Zentralbank in Metall- und Papiergeldsystemen und die Bedeutung monetärer Stabilität als vorrangiges Ziel der Zentralbankpolitik im Papiergeldsystem; die Rolle der Unabhängigkeit der Zentralbank von der Politik und gesellschaftlichen Interessengruppen; die Vor- und Nachteile fixer und flexibler Wechselkurse und die Bedeutung der monetären Souveränität.

Im Hauptteil des Buches erzählt Baltensperger, wie sich der Schweizer Franken vom Anhängsel des französischen Franc zu einer äusserst stabilen und international nachgefragten Anlagewährung entwickelt hat. Für ihn ist klar, dass dieser Aufstieg nicht nur aufgrund von glücklichen Umständen stattgefunden hat, sondern auch eine «Folge des ausgeprägten Willens zur Selbständigkeit und zur finanzpolitischen und monetären Stabilität» gewesen ist. Bei der Erzählung der einzelnen Zeitabschnitte geht Baltensperger chronologisch vor. Die grossen Zäsuren sind die Einführung des Schweizer Frankens (1850), das neue Banknotengesetz (1881), die Gründung der SNB (1905), der Erste Weltkrieg, die Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre, der Zweite Weltkrieg, das Bretton-Woods-System und das Zeitalter der flexiblen Wechselkurse seit 1973. Zwischen die einzelnen Kapitel sind Darstellungen und Kommentare zur Entwicklung der Münzen und Banknoten eingeführt. Die schön gestalteten Seiten sind nicht nur für Numismatiker und Sammler eine wahre Freude, sondern eröffnen auch den eher theoretisch Interessierten eine neue Welt. So wird der Münzwirrwarr, der vor 1850 herrschte, oder die Funktionsweise der Lateinischen Münzunion, welche die Zirkulation von belgischen, französischen, griechischen und italienischen Münzen in der Schweiz erlaubte, auf einen Blick fassbar. Auch der Wandel der Sujets auf den Schweizer Banknoten ist aufschlussreich.

Das Buch endet mit einem Kapitel, in dem Baltensperger die Entwicklungen der letzten zehn Jahre zusammenfasst und seine Einschätzungen zu wirtschaftspolitischen Fragen der Gegenwart erläutert. Auch dies ist ungewöhnlich für ein Geschichtsbuch, zeigt aber einmal mehr, wie anregend es ist, wenn sich ein Ökonom mit praktischer Erfahrung für historische Themen interessiert. Baltenspergers Buch ist gerade wegen seiner eleganten Verbindung von Geschichte und Gegenwart in der Öffentlichkeit sehr gut aufgenommen worden. Es ist zu wünschen, dass sich auch die historische Zunft von seiner Geschichte des Schweizer Frankens inspirieren lässt.

Zitierweise:
Tobias Straumann: Rezension zu: Ernst Baltensperger: Der Schweizer Franken: Eine Erfolgsgeschichte: Die Währung der Schweiz im 19. und 20. Jahrhundert. Zürich, Verlag Neue Zürcher Zeitung, 2012. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 64 Nr. 1, 2014, S. 165-164.

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Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 64 Nr. 1, 2014, S. 165-164.

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